Ohne Titel

Notizbuch, 128 Seiten, 19.12.1979 bis 01.03.1980

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Beschreibung

Das Notizbuch führte Handke vom 19. Dezember 1979 bis zum 1. März 1980. Es ist in einen rotbraunen Plastikumschlag gebunden und umfasst 128 Seiten.

Am vorderen Vorsatz sind unter Handkes Salzburger Wohnadresse der Datierungszeitraum und darunter die Entstehungsorte eingetragen. Darauf folgt eine Notiz zur geologischen Beschaffenheit des »Morzger Hügels«: »O: Gosau [/] W: Nagelfluh (Mindel/Riß)« (S. I). Am unteren Seitenrand von Blatt I ist der Begriff »"Innige Ironie"« zu lesen. Der hintere Vorsatz umfasst die Seiten II* und III* und enthält Telefonnummern, Adressen, Lektürenotizen und -zitate.

Zu Beginn der Einträge befand sich Handke noch in Paris, wo er – dem Eintrag vom 19. Dezember zufolge – erneut das Musée d'Orsay (damals noch: Galerie du Jeu de Paume) besuchte. Noch am selben Tag reiste er vermutlich ab und war am 20. Dezember morgens in Genf – Notizen zur Unterkunft im Hotel Richemond weisen darauf hin. Von Genf fuhr Handke mit dem Zug weiter nach Lausanne (S. 5) und von dort über Bern und Olten nach Zürich (S. 6-9). Dort besuchte er am 21. Dezember das Kunsthaus und reiste weiter nach Winterthur (eine Notiz deutet ein Treffen mit Siegfried Unseld an, dieses lässt sich jedoch anhand des Briefwechsels und Unselds Reisechronik nicht belegen: »der Geschäftige, den still Lebenden aufsuchend; bei diesem auch still sich haltend, erzeugt er rundum die Stille des Todes, und hält den andern dafür verantwortlich (S.U.)« (S. 17). In Wintherthur notierte Handke am 22. Dezember Bemerkungen zu Gemälden aus der Sammlung Oskar Reinhart. Am 23. Dezember findet sich ein Hinweis auf seine Rückreise nach Salzburg, demzufolge er am 22. Dezember »zum überfüllten Flughafen« fuhr (S. 22). Die Rückreise muss, den Ortsangaben auf dem vorderen Vorsatz entsprechend, über München nach Salzburg geführt haben, wo Handke dann ab dem 22. Dezember blieb und auch Weihnachten und Neujahr verbrachte. Nach seiner Rückkehr begann Handke in Salzburg, sich intensiver mit der Vorformulierung von Die Lehre der Sainte Victoire zu befassen, Begriffe und Satznotizen aus dieser Zeit sind bereits sehr konkret in der Erzählung erkennbar. In Salzburg besuchte Handke – in der Fortsetzung seiner zahlreichen Museumsbesuche während der Reisen des Jahres 1979 – Ende Dezember das Salzburg Museum und notierte zu ausgewählten Werken. Auch im Jänner 1980 enthalten die Aufzeichnungen ausschließlich Ortsangaben aus Salzburg, erst am 14. und 15. Februar enstanden die Notizen während eines Aufenthalts im Lungau, am Prebersee und in Maria Pfarr.

Inhaltlich sind die Aufzeichnungen vor allem auf die Erzählung Die Lehre der Sainte-Victoire konzentriert, deren erste Fassung Handke am 12. März zu schreiben begann. Ebenso gibt es Werkbezüge zu dem Stück Über die Dörfer und zu der viel später geschriebenen Erzählung Die Wiederholung.

Bemerkenswert ist ein Eintrag vom 23. Jänner, in dem Handke über zwei Seiten die Farben aller betrachteten Häuser bei einem Spaziergang mit seiner Tochter Amina benennt (S. 80-81).

Der zuletzt datierte Notizbucheintrag vom 1. März 1980 beginnt am Ende des Buches auf den Seite 127 und 128, füllt S. I* des hinteren Vorsatzes und wurde offenbar aufgrund von Platzmangels auf dem vorderen Vorsatz (Bl. II-III) weitergeführt.

Werkbezüge

Die Wiederholung

Notate zu DW S. 19, S. 22, S. 64 (»Der Wegmacher«), S. 78, S. 101; S. 110-112; S. 123, S. 124; S. 127; I*;

Die Lehre der Sainte-Victoire

Im Anschluss an seine zweite Reise zur Montagne Sainte-Victoire (10. bis 14. Dezember 1979) setzte Handke am 19. Dezember seine Aufzeichnungen in diesem Notizbuch in Paris fort. Die Einträge decken den Zeitraum bis zum 1. März 1980 ab, das Notizbuch endet somit elf Tage, bevor er begann, die Erstfassung von Die Lehre der Sainte-Victoire zu schreiben.

Auf den Spuren Paul Cézannes

Die Anmerkungen zur Kunst Cézannes am Beginn des Notizbuchs, die anlässlich eines neuerlichen Besuchs in der Galerie du Jeu de Paume (heute: im Musée d'Orsay) entstanden, sind in der Erzählung wiederzufinden im Kapitel »Das Bild der Bilder«. So wird z.B. aus der Notiz »(Stilleben): wie so "seine" Dinge einen märchenhaften Moment haben, vor allem die Stilleben mit den Zwiebeln, mit dem Birnenkorb: es sind Dinge aus einem Märchen. [...] sie sind bereit – auch durch die verschiedenen Schrägen und Aufblicke?« (S. 2-3) der Satz: »Die Birnen, Pfirsiche, Äpfel und Zwiebeln, die Vasen, Schalen und Flaschen erscheinen, auch durch die leichten Verrückungen und schiefen Ebenen, wie Märchendinge, die gleich zu leben anfangen werden [...]« (DLS 80). Dieses Beispiel zeigt zudem, wie Handke von dem etwa eine Notizbuchseite umfassenden, stichwortartigen Eintrag zu einer sprachlichen Präzisierung in einem einzigen Satz findet. Wenig später im Dezember 1979 besuchte Handke das Kunsthaus Zürich und fügte die dort beschriebene »C.-Wand« mit drei Porträts Cézannes unmittelbar nach der Pariser Notiz in die Erzählung ein. Der Satz »Vergleichbar dann die Wand in einem Museum in der Schweiz. Dort hängen in einer Reihe drei große Porträts: der Maler selber, seine Frau, und der Knabe mit der roten Weste.« (DLS 80) basiert auf der Notiz vom 21. Dezember: »Mann / Frau / Kind – es sind verschiedene Haltungen, in eines; der Junge nach vorn gekrümmt, die Frau leicht zurückgelehnt, der Maler hochaufgerichtet« (S. 12-13).

Seit Dezember 1979 las Handke regelmäßig in Kurt Badts Buch Die Kunst Cézannes, aus dem er zitierte oder exzerpierte (entsprechende Stellen sind oft mit dem Kürzel »B.« gekennzeichnet). Alleine den bei Badt verwendeten Begriff der »Schattenbahnen« findet man in der Erzählung dreifach (DLS 37, 109, 114). Ins Notizbuch übertrug er auch zahlreiche Sekundärzitate aus bei Badt zitierten Quellen. Auffällig ist, dass Handke nicht nur Badts Äußerungen zu Cézanne übernimmt, sondern auch zahlreiche zu anderen Malern wie Delacroix oder Poussin.

Begegnung mit »D.«

ÖLA SPH/LW/S22/1 Gegen Ende Dezember begann Handke erstmals seine beiden Reisen nach Aix zu reflektieren und lieferte zudem den Hinweis, dass er – im Gegensatz zum Ich-Erzähler – diese Reisen alleine unternommen hatte: »daß ich die Landschaft bei Aix doch für jemanden erkunden wollte, daß ich da der kundige Führer jemandes sein wollte; deswegen allein« (S. 31). Das Zusammentreffen des Erzählers mit der Freundin »D.« in Aix ist die erzählerische Konstruktion einer tatsächlichen Begegnung Handkes mit »D.«[omenika Kaesdorf], die allerdings erst am 4. Jänner 1980 in Salzburg stattgefunden haben dürfte, wie der Notizbucheintrag vom 5. Jänner nahelegt: »Wie gestern [...] Spaziergang mit D.« (S. 50). Dort findet sich auch eine Anmerkung zu den »Übergänge[n] [...] beim Kleidermachen« (S. 52), die in der »Mantel«-Episode im Kapitel »Der Hügel der Kreisel« wiederkehrt (DLS 118-119). Ein Brief von Domenika Kaesdorf vom 23. März 1980 griff diese Begegnung wieder auf und wurde zu einer wichtigen Textquelle für die Erzählung.

Überlegungen zur Erzählform

Notizen, die – wenn auch nur im weitesten Sinne – mit der Erzählung in Zusammenhang stehen, markierte Handke durch die Beifügung des Werktitels oder einer Abkürzung: »[...] wie auch das Mädchen in dem Laden (Neutor) in der ganzen Welt gestanden hat (Ste Victoire)« (S. II). Ebenso hielt er Überlegungen zur Erzählpoetik fest: »Wie schaffe ich Dramatik und behalte die Ruhe? (Die Lehre der Ste Victoire)« (S. 4) oder formulierte eine präzise Vorstellung am 25. Dezember 1979: »"Die Lehre": Es darf keine Analyse sein, sondern muß die Erzählung einer allmählichen Annäherung (und vielleicht Entfernung) sein, strahlend äußerlich und vor allem, ohne Anspruch – als ginge es um nichts« (S. 29). Am 1. Jänner 1980 wollte er für »die Lehre der Ste Victoire: "homerische Vergleiche"« (S. 45) und am 7. Jänner schloss er seinen Tageseintrag in Versalien: »DER, DER ICH BIN (Held der Geschichte) (Ste. Victoire)« (S. 57). Am 18. Jänner notierte er, »"Die Lehre der Ste Victoire" müßte vor allem eine Geschichte übers Verehren und Verehren-Können werden« (S. 72), sowie am 23. Jänner: »Der Maler und sein Weg der Phantasie (Ste Victoire)« und »die "Sehnsucht" des Zeichners ist die Malerei (Ste Victoire)« (S. 82). Eine Überlegung zum Erzählende enthält der Notizbucheintrag vom 24. Jänner: »Wie aus dem Zeichner und dem Schriftsteller gegen Schluß eine gemeinsame Stimme wird (Die Lehre der Ste Victoire)« (S. 83).

Einzelbeobachtungen als Material für die Erzählung

Dass es bei den Notizen von Dezember 1979 bis März 1980 Überschneidungen von Die Lehre der Sainte-Victoire, Über die Dörfer und im weiteren Sinne Die Wiederholung gab, belegt eine Stelle vom 26. Dezember exemplarisch, an der Elemente aller drei Texte aufeinandertreffen: »die Buntheit der Tropfsteinhöhle; ja ich muß mit der Ste Victoire in der Kindheit anfangen (und das farblose Gemälde in der Kirchenkuppel von St. Griffen; der Pflüger) [/] die Geschwister brauchen "mich" (über die Dörfer)« (S. 32). Die Erinnerung an die eigene Kindheit wird in der Lehre der Sainte-Victoire im Kapitel »Der Maulbeerenweg« verarbeitet (DLS 68-69).

Zahlreiche einzelne Detailbeobachtungen tauchen in der Erzählung an verschiedensten Stellen wieder auf, so beispielsweise der »buchenstammfarbene Asphalt« (S. 128) vom 1. März 1980 in dem Satz »Habe ich in dem Graublau des Asphalts nicht gerade einen Buchenhain widerscheinen sehen?« (DLS 82). Die Stelle »Jene einzelne Zimmerpflanze, die ich einmal durch ein Fenster vor der Landschaft als chinesisches Schriftzeichen erblickte« (DLS 78) geht auf eine in Salzburg entstandene Notiz vom 6. Februar 1980 zurück, in der es heißt: »Blick in ein Fenster auf ein andres Fenster; dazwischen nur eine Zimmerpflanze als chinesisches Schriftzeichen (Imbergstraße)« (S. 98). Auch das in der Erzählung beschriebene »Flurwächterhaus« (DLS 122) stammt aus einer einzelnen Notiz vom 8. Februar (S. 101).

Einbettung in den eigenen Lektürehorizont

In der Buchausgabe nicht realisiert wurde eine Überlegung zum Anfang der Erzählung, die Handke am 23. Dezember 1979 festhielt: »vielleicht mit Courbet und Chr. Wagner überhaupt die "Ste Victoire" anfangen?« (S. 23). Noch in einem Brief an seinen Verleger Siegfried Unseld vom 22. März 1980 ging Handke davon aus, Die Lehre der Sainte-Victoire als zentralen Text zusammen mit weiteren Essays und Gedichten in einem Sammelband veröffentlichen zu wollen. Sein Essay über Christian Wagner, erstgedruckt am 6. Jänner 1978 in der Zeit, wäre Teil dieser ursprünglich angedachten Zusammenstellung gewesen, die in veränderter Form unter dem Titel Das Ende des Flanierens erschien. Sowohl der Maler Gustave Courbet als auch der Schriftsteller Christian Wagner werden im ersten Kapitel »Der große Bogen« kurz thematisiert, allerdings nicht unmittelbar am Beginn der Erzählung (DLS 30-33 und 45). Verarbeitet für den Anfang der Erzählung wurde hingegen Handkes Lektüre zweier Texte Adalbert Stifters (Bergkristall und Mein Leben) – bereits der zweite Satz bezieht sich auf Bergkristall. Der entsprechende Lektürebezug im Notizbuch datiert relativ spät, am 1. März 1980, also nur wenige Tage vor dem Schreibbeginn.

Reflexion der Beobachtung und das »nunc stans«-Motiv

Gegen Ende des Notizbuchs verstärkt sich der vorbereitend-reflektierende Charakter der Einträge im Hinblick auf das Schreibprojekt. Je näher das Datum der eigentlichen Arbeit an der ersten Fassung rückt, umso allgemeiner formuliert Handke, etwa bezogen auf das Schreiben: »Zum Schreiben muß ich stetig bei den Dingen bleiben, darf nie in der Sprache sein [...]« (22. Februar 1980, S. 116), oder zum Vorgang des Betrachtens: »Sich einlassen auf die Naturvorgänge verlangsamt, auch wenn diese schnell ablaufen (und in der eigenen Verlangsamung wirken auch sie verlangsamt)« (29. Februar 1980, S. 126) und zuletzt: »als Geistesgegenwartssäule durch die Welt sich bewegen, diese so erst überlieferungsfähig machend (mitdenkend mit der Erde die Erde denkend als denkende Welt ohne Ende)« (1. März, S. I*).

Der mit solchen eher wahrnehmungstheoretischen Überlegungen oft einhergehende und für die Erzählung zentrale Begriff des »nunc stans« tauchte in Handkes Notizen ab Oktober 1979 auf. Erstmals in diesem Notizbuch erwähnte er ihn am 25. Dezember in Salzburg: »auf der Stiege über der Salzach, Mülln, Abend: Nunc stans, "der Fluß" (ohne Namen)« (S. 29). Es folgte eine Anmerkung über Cézannes Bilder als »Halbschlafbilder« am 27. Dezember (S. 35), tags darauf die Formulierung »Im Reich der Farben« und passend dazu auch fast zwei Monate später »Nunc stans: mit den Farben (mit allen Farben)« (21. Februar 1980, S. 114). »Durch die Halbschlafbilder kriege ich (auch ich) ein Recht auf die Dinge«, bekräftigte er am 31. Jänner 1980 und führte dazu den »Zeitstand« ein (S. 93-94), eine eher freie Übertragung des »nunc stans«-Begriffs. Am 14. Februar deutete er »"Nunc stans" immer auch in einem Moment der Kritikfähigkeit gegen sich selber: man ist fähig, den üblichen Gedankenablauf anzuhalten und sich endlich herauszuhalten« (S. 107). Entscheidend für die Textgenese ist, dass Handke mit diesen Notizen, die – analog zu den Wanderungen auf die Montagne Sainte-Victoire – in der Umgebung des Salzburger Untersbergs entstanden, bereits das Vokabular für den Einstieg zu seiner Erzählung erarbeitet: »Einmal bin ich in den Farben zu Hause gewesen. [...] Naturwelt und Menschenwerk, eins durch das andere, bereiteten mir einen Beseligungsmoment, den ich aus den Halbschlafbildern kenne, und der Nunc stans genannt worden ist [...]« (DLS 9). (ck)

Siglenverzeichnis Editorische Zeichen

Über die Dörfer

Dieses Notizbuch umfasst 128 Seiten und enthält Aufzeichnungen aus der Zeit zwischen 19. Dezember 1979 und 1. März 1980. Peter Handke hat es keinem Schreibprojekt zugeordnet, man findet am vorderen Vorsatz lediglich seine Wohnadresse in Salzburg, eine Aufzählung der in diesem Zeitraum bereisten Orte (er unternahm keine für Über die Dörfer relevanten Reisen), und zwei Einträge, unter anderem die Bezeichnung »"Innige Ironie"« (S. I), die ab der dritten Textfassung seinem Theaterstück Über die Dörfer als Motto vorangestellt ist: »"Hier stehe ich." – Alle sind im Recht. – Nach Schlußworten weiterspielen. – Innige Ironie.« (ÜD) In einer Notiz vom 19. Dezember 1979 bezieht er sich noch einmal auf diese Stelle, wobei er die »innige Ironie« auf sein Schreiben überträgt: »INNIGE IRONIE (das wäre die epische Haltung)« (S. 3). 

Projektbezogene Notizen

Das Notizbuch enthält nur wenige von Handke dem Stück zugeordnete Einträge, wobei er dafür bereits bis auf eine Ausnahme den Titel »Über die Dörfer« verwendete. Darüber hinaus findet man Notizen, die auch ohne explizite Werkzuordnung im Zusammenhang mit dem Stück stehen. Die projektbezogenen Notizen befassen sich vor allem mit dem Verhältnis der Geschwister zueinander. Sie lauten: »die Geschwister brauchen "mich" (Über die Dörfer)« (S. 32); »Die Geschwister sehen einander wie Gespenster ("Über die Dörfer")« (S. 78) oder »"Über die Dörfer": der eine Bruder glaubt, das Recht \zu haben/, die andern zu fragen zu haben; aber wenn die andern ihn einmal fragen, schweigt er unwillig« (S. 84). Dabei beschäftigten Handke nicht nur die Figuren oder die Handlung, sondern auch die dramatische Form: »im Lauf der Ereignisse fangen die Geschwister einander zu fragen an (Dramatik); auch Schuld und Beschuldigung gehören zur Handlung; dann aber ist auch Schuld nicht mehr im Spiel; zum "ewigen Sein" kommen sie im "Satyrspiel"« (S. 68) und »Geschwisterdrama: die wie du weißt-Dramaturgie ist da kein Trick, sondern das Drama (natürliche Gesprächsform) ("Über die Dörfer")« (S. 86). Diese Notiz und der daruntergeschriebene Zusatz »"Über die Dörfer": die Entsühnung« (S. 86) enthalten auch einen Verweis auf die griechische Tragödie Elektra von Sophokles. 

In den anderen projektbezogenen Notizen dieses Notizbuchs lotet Handke aus, welche Dinge in der Kunst gelten bzw. darstellbar sind und welche nicht. Nova wird sie später in ihrer Schlussrede aufzählen (ÜDa 110). Hier notierte Handke: »Es gibt die Frau mit der Illustrierten ("Dramatisches Gedicht")« (S. 24). An einer anderen Stelle wendet er einen Satz aus Meister Eckharts Vom Wert der Gewöhnung auf sein Unterscheidungsmodell an: »"... denn dem innwendigen Menschen sind alle Dinge eine innwendige göttliche Weise" (M.E.); aber die menschlichen Dinge, nicht nur die Plastiksäcke? die Gottverlassenheit der menschlichen Dinge, nimmt sie nicht überhand? Vielleicht ist eine zerschlissene Plastiktragtasche doch darstellbar?« (S. 31). Eine weitere Notiz zu Über die Dörfer befasst sich mit der feierlichen Grundhaltung des Stücks: »Ein Theaterstück ist für ein festliches Ereignis, und so muß darin auch gesprochen werden (es muß überhaupt gesprochen werden) (ÜdD muß eine Art Festspiel sein, so alltäglich auch die Geschichte sein mag)« (S. 96). Vielleicht dachte Handke dabei auch schon an eine Uraufführung des Stücks bei den Salzburger Festspielen.

Lektüren

Für das Stück relevant sind auch einige der in diesem Notizbuch dokumentierten Lektüren Handkes, zum Beispiel Iphigenie auf Tauris (S. 83ff.) und Torquato Tasso (S. 96ff.) von Goethe oder von Werken Nietzsches, die auch die Schlussrede Novas, die Apotheose der Kunst, beeinflusst haben dürften. Handke notierte dazu »"In seiner Kunst ist viel 'Dankbarkeit über genossenes Glück'" (Quelle der "Apotheose" nach Nietzsche)« (S. 49). (kp)

Siglenverzeichnis Editorische Zeichen

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Zusätzlich eingetragene Werktitel:  Die Wiederholung [S. 22]; "Ste Victoire" [S. 23]; "Dramatisches Gedicht" [S. 24]; "Hornissen" [S. 54]; moviegoer [S. 68]; "Langsame Heimkehr" [S. 86]; [nicht vollständig erfasst]
Entstehungsdatum (laut Vorlage):  19. Dezember 1979 – 1. März 1980 [Bl. I]; Dez 79 – März 1980 [aufgeklebter Papierstreifen mit Datum am Buchumschlag]; [nicht vollständig erfasst]
Datum normiert:  19.12.1979 bis 01.03.1980
Entstehungsorte (laut Vorsatzblatt): 

Paris Genf Zürich Winterthur München Salzburg

Zusätzlich eingetragene Entstehungsorte: 

Rue du Maine [Paris; 19.12.1979, S. 3]; Genfer See, Lausanne [20.12., S. 5]; Bern [20.12., S. 6]; Schweiz, Olten [20.12., S. 7], Zürich [20.12., S. 9]; Winterthur [21.12., S. 17]; Leopoldskron [23.12., S. 23]; Mönchsberggarage [24.12., S. 24]; Salzach, Mülln [25.12., S. 29]; Untersberg [27.12., S. 33]; St. Leonhard/Untersberg [28.12., S. 35]; Mülln [30.12., S. 40]; Rainberg [31.12., S. 41]; Bergheim [2.1.1980, S. 46]; Maria Plain [2.1., S. 47]; Untersberg, Mönchsberg, Hellbrunner Berg, Nonnberg [5.1., S. 51]; Leopoldskron [7.1., S. 56]; Gaisberg [8.1., S. 58]; Mönchsberg, Humboldtterrasse [9.1., S. 62]; Gaisberg [12.1., S. 67]; Bergheim [13.1., S. 68]; Ma. Plain [13.1., S. 69]; Morzg [15.1., S. 70]; Mülln [19.1., S. 73]; Gaisberg, Maria Plain [23.1., S. 81]; Mönchsberg Humboldtterrasse [6.2., S. 97]; Imbergstraße [6.2., S. 98]; Moosstraße [7.2., S. 100]; Anif, Morzg [9.2., S. 101]; Siezenheim [12.2., S. 105]; an der Mur, Lungau [14.2., S. 107]; Karneralm, Prebersee [15.2., S. 108]; Maria Pfarr [15.2., S. 109]; St. Leonhard [16.2., S. 110]; Leopoldskron [24.2., S. 119]; St. Peter, Nonntal [25.2., S. 121]; Morzger Hügel [27.2., S. 124]; M.ger Wald, Hellbrunner Hügel [1.3., S. I*], Morzger Hügel, Gneis [1.3., S. II]

Materialart und Besitz

Besitz 1:  Deutsches Literaturarchiv Marbach
Art, Umfang, Anzahl: 

Notizbuch mit rotbraunem Plastikumschlag, 128 Seiten, I-IV, pag. 2-128, I*-III*

Format:  8,2 x 13,4 cm
Schreibstoff:  Kugelschreiber (blau, schwarz), Fineliner (schwarz, lila, rot)
Weitere Beilagen: 

 

  • 1 getrocknetes Blatt (am DLA aus konservatorischen Gründen separat abgelegt), eingelegt zwischen S. 122/123
  • 1 Polaroid (Motiv: Amina Handke) mit eh. Aufschrift »6. Juli 1980 (vor Berlin)«, eingelegt im hinteren Vorsatz, 1 Blatt
  • 1 Zeitungsausschnitt »H. Mr.: Halbschattenmondfinsternis am 1. März« aus einer Schweizer Zeitung, o.D., 1 Blatt
  • 1 Taxirechnung München, 25.7.1980, 1 Blatt
  • 1 Restaurantrechnung von Hübner, Hotel Bristol, 7.7.1980, 1 Blatt
  • 1 Zeichnung (wahrscheinlich von Amina Handke) mit Peter Handke abgebildet und einem Blumensticker, 1 Blatt
  • 1 Antwortschein, 30.5.1980, 1 Blatt

Nachweisbare Lektüren

  • Johann Wolfgang Goethe: Maximen und Reflexionen (19.12., S. 3); Tagebücher (8.1., S. 59); Iphigenie auf Tauris (24.1., S. 83), Von der Farbenlehre (29.1., S. 92; 1.2., S. 94-95; 10.2., S. 104; 13.2., S. 107; 21.2., S. 114; 23.2., S. 118; 24.2., S. 119; 1.3., S. I*); Torquato Tasso (4.2., S. 96; 5.2., S. 96-97; 7.2., S. 99; 7.2., S. 101; 9.2., S. 103); Das Märchen (26.2., S. 122)
  • Ludwig Hohl: Nuancen und Details (19.12., S. 4; 20.12., S. 6)
  • Bibel: Johannes 1,8 (22.12., S. 17), Lukas 1,38 (24.12., S. 25), Brief an die Kolosser 3,14 (29.12., S. 38), Moses 2,3 (9.1., S. 62)
  • Kurt Badt: Die Kunst Cézannes (25.12., S. 26; 27.-28.12., S. 34, 37; 6.1., S. 59)
  • Antonius-Legende / Tentation (25.12., S. 28-29)
  • Leon Battista Alberti (26.12., S. 30)
  • Blaise Pascal: Pensées (26.12., S. 31; 2.1., S. 47)
  • Meister Eckhart: Vom Wert der Gewöhnung (26.12., S. 31)
  • Paul Cézanne: Briefe (28.12., S. 37; 30.12., S. 40; 1.1., S. 45; 7.1., S. 57)
  • Jules-Antoine Castagnary (29.12., S. 38)
  • Eugène Delacroix (29.12., S. 38; 30.12., S. 38; 5.1., S. 52)
  • Charles Baudelaire: L'oeuvre et la vie d'Eugène Delacroix (30.12., S. 40)
  • Meyer Schapiro (1.1., S. 44; 10.1., S. 64)
  • Odysseas Elytis (5.1., S. 51)
  • Hermann Gail: Prater (10.1., S. 64)
  • Thomas Wolfe: Look Homeward, Angel (11.1., S. 66)
  • Piet Mondrian (12.1., S. 67)
  • Baruch de Spinoza: Ethik (20.1., S. 74)
  • Walker Percy: Love in the Ruins (7.2., S. 100)
  • Jack London (21.2., S. 113)
  • Adalbert Stifter: Das Heidedorf (10.1., S. 63); Kalkstein (24.2., S. 120; 26.2., S. 123); Mein Leben (1.3., S. III); Bergkristall (29.2., S. 127; 1.3., S. III)

Bildende Kunst:

  • Vincent van Gogh (19.12., S. IV), Le jardin de la maison de santé à Arles (22.12., S. 19)
  • Paul Cézanne: Carrefour de la rue Rémy à Auvers-sur-Oise (19.12., S. IV); La maison du Dr. Gachet à Auvers (19.12., S. IV); Pont de Maincy (19.12., S. IV); La femme á la cafetière (19.12., S. 2); Les peupliers (19.12., S. 2); Medea nach Delacroix (21.12., S. 12); Die Frau des Künstlers mit dem Fächer (21.12., S. 12); Le pilon du roi (22.12., S. 19); Assiette de pêches (22.12., S. 19); Compotier et pommes [Rideau, cruchon et compotier] (22.12., S. 19); Portrait d'homme (22.12., S. 19); Nature morte aux fruits (22.12., S. 20); Die Kartenspieler (25.12., S. 29); Mann mit verschränkten Armen (28.12., S. 37); Bahndurchstich (2.1., S. 48)
  • Aert van der Neer: Flußlandschaft mit hohen Bäumen bei Sonnenuntergang (21.12., S. 10)
  • Jacob Isaackszoon van Ruisdael (21.12., S. 10); Eichen an einem Gießbach (3.2.1980, S. 95)
  • Philips Wouverman (21.12., S. 10)
  • Hans Memling (21.12., S. 10);
  • Joos de Momper (21.12., S. 10)
  • Julian Teniers (21.12., S. 10)
  • Jan van Goyen (21.12., S. 10; 4.2., S. 96)
  • John Everett Millais: The old garden (21.12., S. 11)
  • Edward Hopper (21.12., S. 11)
  • Max Gubler (21.12., S. 11)
  • Paul Klee: Angelus militans (21.12., S. 11)
  • Emil Nolde: Herbstmeer (21.12., S. 11)
  • Edvard Munch: Winternacht (21.12., S. 11)
  • Max Beckmann: Strandpromenade in Scheveningen; Schauspieler (21.12., S. 11)
  • Piero della Francesca (21.12., S. 13)
  • Camille Pissarro (21.12., S. 13)
  • Henri Matisse: Liseuse en bleu (21.12., S. 14)
  • Georges Braque (21.12., S. 14)
  • Raoul Dufy: Arkaden in Vallauris (21.12., S. 14)
  • Tintoretto: Die Kreuzigung (21.12., S. 16)
  • Laurent Pecheux (21.12., S. 17)
  • Jean-Honoré Fragonard: Madame Fragonard (21.12., S. 16), Porträt des Malers Hubert Robert (21.12., S. 17)
  • Eugène Delacroix (21.12., S. 17)
  • Carl Blechen (22.12., S. 18)
  • Léo Maillet (22.12., S. 18)
  • Franz Kobell (22.12., S. 18)
  • Gustave Courbet: La vendange à Ornans (22.12., S. 18)
  • Honoré Daumier: Un wagon de troisième classe (22.12., S. 18)
  • Philips Koninck: Flusslandschaft mit Stadt am Berghang (22.12., S. 18)
  • Nicolas Poussin: Campagne Romain (22.12., S. 18), Die Heilige Familie/La Sainte Famille (22.12., S. 18)
  • Jean-Baptiste Siméon Chardin: Panier de prunes (22.12., S. 20)
  • Jean-Auguste-Dominique Ingres (25.12., S. 26)
  • Jan van Eyck (25.12., S. 26)
  • El Greco (25.12., S. 27)
  • Salvator Rosa (27.12., S. 33)
  • Aspacher Flügelaltar (30.12., S. 38)
  • Hl. Jodok im Gehäuse (30.12., S. 38)
  • Friedrich Loos: Salzburg Innerer Stein (30.12., S. 39)
  • Johann Fischbach: Die Schmuggler (30.12., S. 39)
  • Ferdinand Georg Waldmüller: Kirchgang im Frühling (30.12., S. 39)
  • Hans Makart: Die Opernsängerin Henriette Gomperz (30.12., S. 39)
  • Georg Jung: Palmentransport (30.12., S. 39)
  • Michelangelo (30.12., S. 40)
  • Franz Anton Maulbertsch (9.1., S. 61)
  • Francesco Zugno (9.1., S. 61)
  • Luca Giordano (9.1., S. 61)
  • Cosmas Damian Asam (9.1., S. 61)
  • Mark Rothko (20.1., S. 75)
  • Andrea Mantegna: Maria mit dem schlafenden Kind (5.2., S. 96)

Ergänzende Bemerkungen

Illustrationen: 

 

  • Skizze der Hügellinie aus Paul Cézannes Gemälde Le pilon du roi (22.12.1979, S. 19)
  • Skizzen von Konturen bei Paul Cézanne (22.12.1979, S. 20)
  • Detailskizze von Birnen in einem Stillleben Cézannes (22.12.1979, S. 20)
  • Kontur einer alten Tischplatte (23.12.1979, S. 23)
  • »das Oval der Kuppeln« (Kajetanerkirche) (23.12.1979, S. 23)
  • Skizze (Bodenprofil?) (25.12.1979, S. 29)
  • doppelseitige Zeichnung des Salzburger Kapuzinerbergs (1.1.1980, S. 42-43)
  • Skizze aus Dreieck und konzentrischen Kreisen (9.1.1980, S. 61)
  • Skizze, Mond hinter der Bergkante (21.1.1980, S. 76)
  • Skizze, untergehender Vollmond (1.2.1980, S. 94)
  • »Bögen von den umgestürzten Bäumen im Wald« (14.2.1980, S. 107)
  • »die Lärchen von St. Leonhard und die im Drehen die Zweige verlängernden Sternbilder« (16.2., S. 110)
  • »die drei Bögen des Mozartstegs« (23.2.1980, S. 118)
  • Zwei Skizzen: »Das Oval vor der Dreifaltigkeitskirche« und »Ovalgang als Öffnung in die Welt« (24.2.1980, S. 119)
  • Dreiecksskizze: »In der weißundurchsichtigen Ebene schnappt jemand nach der letzten Luft, und noch im Himmel glänzt das Weiß des Berggipfelabhangs, und das jetzt aufglitzernde Wasser des Teiches bildet die dritte Spitze dieses Dreiecks« (24.2.1980, S. 119)
  • »Haselkätzchenbüschel« (26.2.1980, S. 122)