Entstehungskontext

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Nach der Fertigstellung seiner Erzählung Der Chinese des Schmerzes (die Arbeiten waren im April 1983 abgeschlossen) konzentrierte sich Peter Handke erneut auf seine Tätigkeit als Übersetzer, die mit Walker Percys Der Kinogeher 1980 ihren Anfang genommen hatte. Im April und Mai 1983 übertrug er zuerst Gedichte Gustav Januš' für eine Ausgabe der Bibliothek Suhrkamp, wie er seinem Verleger Siegfried Unseld am 16. Mai 1983 schrieb: »Die Übersetzung der Gedichte des österreichischen slowenischen Dichters ist seit ein paar Tagen fertig« (Handke / Unseld 2012, S. 455) Anschließend, am 17. Mai, begann er mit der Arbeit am Manuskript der Übersetzung von René Chars Gedichtband Le nu perdu (1978), der unter dem deutschen Titel Rückkehr stromauf im Hanser Verlag erscheinen sollte, »weil er Michael Krüger einen Gefallen schuldig war«, wie Siegfried Unseld in seinem Reisebericht Salzburg, 26.-29. Juli 1983 notierte (Handke / Unseld 2012, S. 457).

»Vor drei Jahren habe ich [...] angefangen«

Handke gab in dem am 24. Mai 1986 verfassten Text Nager dans la Sorgue an, mehr als ein Jahr an den Gedichten aus Le Nu perdu gearbeitet zu haben: »J'ai mis plus d'un an à traduire le Nu perdu.« (Handke 1988, S. 194) – am 5. Juli 1990 äußerte er in Le Nouvel observateur, die Übersetzung »vor zehn Jahren« anfangs nur für sich selbst gemacht zu haben: »[I]l y a dix ans, j'ai commencé à traduire "le Nu perdu" pour moi. Comme und jeu avec moi-même: j'essayais de faire une sculpture avec ses mots et l'allemend, qui, par sa "multivalence", leur correspond bien...« (»Comment j'ai traduit René Char«. In: Le Nouvel observateur, 5.7.1990). Tatsächlich geht Handkes Char-Lektüre auf das Jahr 1980 zurück, wie eine handschriftliche Notiz in seinem Übersetzungsexemplar von Le Nu perdu belegt, die aus dem Jahr 1983 stammen dürfte: »wie lange brauche ich zum verstehen; vor drei Jahren habe ich Char zu lesen angefangen...« (ÖLA SPH/LW/W141, S. 134). In Die Geschichte des Bleistifts, die Notizen bis 1980 enthält, taucht der Hinweis auf die Char-Lektüre in einem Journaleintrag auf: »Ein Engel ist, nach René Char, "die Kerze, die sich krümmt im Norden des Herzens"« (DGB 149). Die Angabe der Entstehungszeit »Juni 1982 – Juli 1983« auf dem Titelblatt des Bleistiftmanuskripts (ÖLA 348/W1, Bl. 1) ist ein weiteres Indiz für die längere Auseinandersetzung mit dem Werk Chars und bezieht sich auf jene zehn Gedichtübersetzungen, die Handke in der Literaturzeitschrift Akzente im August 1982 veröffentlichte (Akzente 4/1982, S. 300-315).

Übersetzung, Bleistiftmanuskript und Typoskript

Die Niederschrift der Gedichtübersetzungen erfolgte mit Unterbrechungen vom 17. Mai bis zum 27. Juli 1983, an insgesamt 52 Schreibtagen. Seinem Freund Alfred Kolleritsch schrieb Handke am 11. Juli: »mein Kommen – wenn es dann überhaupt noch Deinerseits erwünscht ist – muß sich wohl um fast eine Woche verzögern: ich werde vorher mit dem Übersetzen René Chars nicht fertig, und möchte doch vor meinem Aufbruch reinen Tisch machen; Herzensbedürfnis.« (Handke / Kolleritsch 2008, S. 129) Die Arbeit dürfte letztlich aufwändiger gewesen sein als vorgesehen, was ein späterer Brief vom 8. Februar 1984 an Kolleritsch bekräftigt: »René Char war auch eine Mühe, aber eine in der Sonne ("vor der Sonne sproßt das Wort" = Bibel)« (Handke / Kolleritsch 2008, S. 134). Am 1. Juli 1983 teilte Handke in einem Brief an Char seine Übersetzungserfahrung mit: »Cher René Char, depuis quelquer mois je m'occupe de la traduction de votre "Nu perdu". Je me sens empressé maintenant de vous dire que je suis de plus en plus heureux de travailler sur vos textes; c'est pour moi une manière de retrouvere une enfance universelle.« (ÖLA 348/B1 bzw. ein Briefentwurf dazu in ÖLA SPH/LW/Briefe/Briefe von Peter Handke/Handke, Peter an Char, René) Dem Bleistiftmanuskript der ersten Textfassung folgte ein Typoskript mit einer zweiten Textfassung, das Anfang August entstanden sein dürfte. Dieses diente dem Verlag als Satzvorlage zur Herstellung von Druckfahnen.

Begegnungen mit René Char

 Ende August 1983 machte Handke im Zuge einer längeren Reise durch Südfrankreich und Italien auch in Isle sur la Sorgue Station, um Char persönlich zu treffen und Fragen zur Übersetzung zu besprechen; das Notizbuch mit den Reiseaufzeichnungen von 22. Juli bis 15. September 1983 ging allerdings verloren. In einem Brief vom 18. August dankt Char für die Ankündigung des Besuchs und gibt Bescheid, die Übersetzung bereits erhalten zu haben: »Merci pour l'annonce de votre venue. J'ai bien reçu de notre editeur votre traduction.« (ÖLA SPH/LW/Briefe/Briefe an Peter Handke/Char, Rene). »[I]mmerhin bin ich zum Ort René Chars gekommen«, ist einer Postkarte an Unseld vom 23. August zu entnehmen, auf der er ein Zitat aus dem übersetzten Gedicht Siebwerk einfügte (Handke / Unseld 2012, S. 459). Diesen für Handkes Arbeitsweise eher unüblichen Besuch bei einem von ihm übersetzten Autor beschrieb er sowohl in seinem 1986 verfassten (und 1988 veröffentlichten) Text Nager dans la Sorgue (Handke 1988) als auch in dem kurzen Beitrag »Comment j'ai traduit René Char« (Le Nouvel observateur, 5.7.1990). Am 20. Oktober 1983 folgte ein zweizeiliger Brief, dem Handke ein Polaroid vom 19. Oktober beilegte, das einen Besuch Chars in Salzburg dokumentiert: »voilà votre bâton à Salzbourg; et il me sert comme voisin. Merci« (ÖLA 348/B2). Im Notizbucheintrag vom 21. Oktober 1983 heißt es zu dieser Begegnung: »Und doch ein Weltraum: R. C. zeigte mir eine kleine Eichenkapsel zwischen d. Fingern und sagte: "Das ist ein Zeichen. Das sind die Zeichen." Ich konnte den Kopf an seine Brust legen. Er sagte noch, er könne keinen Satz zustandebringen, an dessen Ende nicht ein Kommando stünde« (DLA, A: Handke Peter, Notizbuch 034, 21.10.1983). Ein weiteres Foto schickte Handke ein Jahr später, am 21. Dezember 1984 an Char, es zeigt eine von Licht beschienene Kommode mit Büchern: »de la montagne où j'habite je fais un voyage interieur jusqu'a la Sorgue, le fleuve par le quel j'entends vos paroles.« (ÖLA 348/B3)

Druckfahnenkorrekturen

Über die Herstellung und Korrekturen der Fahnen zu Rückkehr stromauf geben nur wenige konkrete Anhaltspunkte Auskunft. Einem Datumshinweis auf dem Verlagsexemplar der Fahnen zufolge wurden die letzten Korrekturen Mitte Jänner 1984 eingetragen. Danach müsste das Buch umgehend in die Produktion gegangen sein.

Buchveröffentlichung und Buchvorstellung im Rundfunk

Am 16. Jänner 1984 beendete Char eine Postkarte an Handke mit der Zeile: »J'attends notre "RÜCKKEHR STROMAUF" bientot« (ÖLA SPH/LW/Briefe/Briefe an Peter Handke/Char, René). Die zweisprachige Ausgabe erschien vermutlich Anfang März unter dem Titel Rückkehr stromauf im Münchner Carl Hanser Verlag. In einem Brief des Verlags vom 15. März 1984 an Peter Handke schreibt Ursula Casper: »[W]ir freuen uns, Ihnen nun die zweisprachige Ausgabe der Gedichte von René Char schicken zu können, mit deren Übersetzung Sie sich so viel Mühe gemacht haben.« (ÖLA SPH/LW/Briefe/Briefe an Peter Handke/Carl Hanser Verlag) Für die ORF-Radiosendung »Welt der Literatur« am 10. Jänner 1985 las Handke eine Auswahl von Gedichten und sprach über seine Arbeit und seine persönliche Bekanntschaft mit René Char: »Ich hab' da so eine Liste von Fragen gehabt und die hab' ich ihm halt vorgelegt. [...] Und als ich dann meinen Entschluß gefaßt hab' – das dauert ja lang, bis man sich an so etwas heranwagt, das zu übersetzen, das war vor vier Jahren – bin ich halt immer mit dem französischen Taschenbuch spazieren gegangen oder unterwegs gewesen. [...] Die Übersetzung ist in Salzburg entstanden, hauptsächlich im Sommer. Es ist vielleicht nicht so wichtig, aber es ist ein kleines Detail, daß diese Übersetzung überhaupt nur möglich war im Freien.« (ÖLA SPH/LW/W166) (ck)

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