Der kurze Brief zum langen Abschied

Notizheft, 69 Seiten, ohne Datum [24.04.1971 bis 18.05.1971]

Druckversion

Beschreibung

Das schwarze Wachstuchheft im Format 10,8 x 14,8 cm enthält Notizen, die mit Handkes transkontinentaler Lesereise durch Amerika vom 24. April bis 18. Mai 1971 verbunden sind. Es handelt sich um mannigfaltige Aufzeichnungen von Beobachtungen, Einfällen, Träumen, Empfindungen, aber auch Lektüre-Zitaten aus Goethes Wilhelm Meister und Kellers Grünem Heinrich, die Bildungsromane muss der junge Handke als Reiselektüre im Gepäck mitgeführt haben, oder Zitaten aus Filmen und Musikstücken. Auf der linken Innenseite und auf der ersten Seite des Hefts ist der Titel »Der kurze Brief zum langen Abschied« notiert, auf der Heftseite wurde der zweite Teil »zum langen Abschied« zuerst in Klammern gesetzt, dann mit blauem, und rotem Kugelschreiber durchgestrichen und schliesslich in einer unterbrochenen blauen Linie unterstrichen. Da unleserlich, wurde der zweite Teil rechts von »Der kurze Brief« in kleiner Handschrift hinzugefügt. Die absatzartigen Einträge finden sich auf sämtlichen 68 Seiten des Notizhefts und auf der Innenseite des rechten Umschlags, sie wurden von 1-351 durchnummeriert und später mit vorwiegend schwarzem Kugelschreiber mit Haken, Wellenlinien und gekreuzten Linien abgestrichen. Mit schwarzem Kugelschreiber sind einzelne Wörter unter- oder Abschnitte angestrichen.

Entstehungsdaten

Das Notizheft ist nicht datiert. Die zahlreichen Verweise auf geographische Orte, Personen, Musik und Filme legen aber den Schluss nahe, dass es auf der erwähnten Amerikareise 1971 oder in deren zeitlichem Umfeld entstanden ist. Als einzige Adresse findet sich im linken inneren Umschlag Handkes Adresse: Peter Handke, Altenmarkt 6, A – 9112 Griffen, Kärnten, Österreich.

Lektüre

Im Notizheft finden sich Zitate und Hinweise zu Francis Scott Fitzgeralds The Great Gatsby in Abschnitt 10 und 102 (FITZ + GERALD), zu Hermann Lenz in Abschnitt 20, zu Joseph v. Eichendorff in Abschnitt 63 und William Faulkner wird in Abschnitt 142 zitiert. Mehrfach zitiert werden Gottfried Keller (Abschnitt 276 und 289) und Johann Wolfgang v. Goethe (Abschnitt 82, 153 und 210). Zudem gibt es Verweise auf Musik (The Kinks, The Beatles, Creedence Clearwater Revival, Abschnitt 69) und Film (John Ford, Abschnitt 90, 111 und 134, Johnny Weissmüller, 50, Hans Moser, 260, Marilyn Monroe, 326). (Mathias Arnold)

Werkbezüge

Der kurze Brief zum langen Abschied

Abschnitt 27 bezieht sich auf den Anfang der Erzählung Der kurze Brief zum langen Abschied: »Die Wayland Street verbindet den Norden von Providence/Rhode Island direkt mit der Ausfallstrasse im Süden, die nach New York führt. Kurz vor der Ausfallstrasse liegt das Hotel Wayland Manor. Als ich Ende April dort ankam, gab man mir einen kurzen Brief, in dem … mir schrieb, dass … Mein ganzes Leben hatte ich schreckliche Angst gehabt. Draussen auf dem Platz vor dem Hotel riefen sich die Taxifahrer aus den stehenden Taxis etwas zu … usw. (So ähnlich der Anfang der Geschichte)«. In Abschnitt 53 und 54 erscheint die Lebenslust: »Immer mehr konnte ich von Lebenslust reden«, »Das Lustgefühl des Beobachtens und Wahrnehmens: jene zwei zusammengedrängten Freundinnen damals in der Telefonzelle«. Abschnitt 58: »Das Kind hatte Angst vor geöffneten Sachen, vor offenen Kofferräumen und schrie sofort, zuzumachen« (vgl. DKB 67). Abschnitt 89: »Sie konnte nicht reden, darum wurde sie Seiltänzerin« (vgl. DKB 191). Abschnitt 111: »Früher waren von den Heilslehren vor allem die Besitzenden betroffen (Aufklärung, Humanismus), jetzt ändern sich durch die Heilslehren nur noch die Besitzlosen und noch nicht Besitzenden« (vgl. DKB 190f.). Abschnitt 128: »die Holztrockenanlage + die Leiche« (vgl. DKB 178). Abschnitt 129: »Ich stand auf dem Hügel und beobachtete unten im winterlichen Obstgarten den Kot, der langsam aus dem Gesäss des dahockenden Bruders in den Schnee fiel« (vgl. DKB 179). Abschnitt 133: »So ereignislos verlief mein Leben, dass wir uns schon immer auf das Bild am neuen Kalender freuten, den uns einmal im Jahr ein Versicherungsvertreter brachte, auf das Bild für den neuen Kalender unseres Stammkaufhauses vor Neujahr schon neugierig sein konnten« (vgl. DKB 175f). Abschnitt 139 bis 141: »Unzufrieden beim Onanieren ist man, wenn sich das vorgestellte Bild nicht rechtzeitig einstellte, und es also davor schon passierte…«, »Es brauchte immer ein rechts (reiz) Bild zum Onanieren, weil seine Vorstellungsfähigkeit auf Grund seiner Arbeit […]«, »Dann lag das Ehepaar in verschiedenen Räumen und befriedigte sich gleichzeitig jeder sich selber« (vgl. DKB 130f). Abschnitt 150: »Der kalifornische Rotwein« (vgl. DKB 187). Abschnitt 207: »Die verhungerten Socken« (vgl. DKB 176). Abschnitt 237: »Die Geschichte der Geistesschwachen. Der Bauer hatte sie vergewaltigt, sie bekam ein Kind, als sie Wasser holen ging, sie musste weit weg Wasser holen und wickelte das Kind in die Magdschürze und trug es nach Haus, die Bäuerin nahm das Kind als ihres auf, und wie das Kind eines Tages auf einen Zaun klettert und oben hängenbleibt, rennt die Geistesschwache, die nicht reden kann, dazu und hilft dem Kind herunter, und das Kind sagte zu der Bäuerin: "Mutter, warum hat denn die Treapu [?] so weiche Hände"« (vgl. DKB 62f). Abschnitt 254: »Bitte suche mich nicht, es wäre nicht schön, mich zu finden« (vgl. DKB 9). (Mathias Arnold)

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorsatzblatt): 

"Der kurze Brief zum langen Abschied" [S. I; S. 1]

Zusätzlich eingetragene Werktitel:  [nicht erfasst]
Datum normiert:  ohne Datum [24.04.1971 bis 18.05.1971]
Entstehungsorte (laut Vorsatzblatt): 

Griffen [Adresse des Elternhauses, S. I]

Zusätzlich eingetragene Entstehungsorte: 

Montana [an div. Orten erwähnt; Nr. 171, 222, 246]; St. Paul; Minnesota [Nr. 262]; [nicht vollständig erfasst]

Materialart und Besitz

Besitz:  Schweizerisches Literaturarchiv/Sammlung Schafroth
Art, Umfang, Anzahl: 

Notizheft mit schwarzem Wachstuchumschlag, liniert, 69 Seiten,  I, 69 Seiten unpag., I*; mit 351 durchnummerierten Einträgen, Nr. 1-351

Format:  10,8 x 14,8 cm
Schreibstoff:  Kugelschreiber (blau, schwarz, rot, grün), Bleistift

Nachweisbare Lektüren

  • Francis Scott Fitzgerald: Erwähnung The Great Gatsby (Nr. 10 u. 102)
  • Hermann Lenz: »wie ausgeblasene Eier, nebeneinander gelegt« (Nr. 20)
  • Gottfried Keller: (Nr. 276); Der grüne Heinrich: »Ich ging gedankenlos vorwärts, ruhig und melancholisch meine Schüsse abgebend und mein Gewehr wieder ladend« (Nr. 289)
  • Johann Wolfgang v. Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre: »Die Grenze war die Scheidewand unserer Vorstellungen und Gefühle« (Nr. 82) (Nr. 153; 210)
  • William Faulkner: »Jetzt ist die Nachahmung nicht mehr die Sucht, was nachmachen, rauben die Lust« (Nr. 142)
  • Joseph v. Eichendorff: Taugenichts-Motiv (Nr. 63)

Musik:

  • Erwähnung von The Kinks (Nr. 69)
  • Erwähnung von The Beatles (Nr. 69)
  • Erwähnung von Creedence Clearwater Revival: Rumble Tumble (Nr. 69)

Film:

  • Erwähnung des Regisseurs John Ford (Nr. 90, 111 u. 134)
  • Erwähnung des Schauspielers Johnny Weissmüller (Nr. 50)
  • Erwähnung des Schauspielers Hans Moser (Nr. 260)
  • Erwähnung der Schauspielerin Marilyn Monroe (Nr. 326)

Ergänzende Bemerkungen

Bemerkungen: 

Das Wachstuchheft zerfällt bereits, Umschlag lose