Entstehungskontext

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Die Entstehungsgeschichte von Peter Handkes Sprechstück Hilferufe lässt sich aufgrund der wenigen überlieferten Quellen nur schwer rekonstruieren. Es dürfte sich um eine Auftragsarbeit Handkes für den Suhrkamp Theaterverlag oder für Günther Büch, den Regisseur der Städtischen Bühnen Oberhausen, gehandelt haben. Die erste Erwähnung des Stücks in der Verlagskorrespondenz findet man in einem Schreiben von Peter Handke an Karlheinz Braun, den Leiter des Suhrkamp Theaterverlags, vom 11. Juli 1967. Darin heißt es: »Anbei das kurze Stück "Hilferufe", um das Du mich für das Spektakulum gebeten hattest. Oberhausen wollte es haben, um die Zeit zu dehnen. Ich gebe es Büch.« (DLA, SUA: Suhrkamp Verlag, Handke Peter) 

Entstehungsumfeld

Zur Entstehungszeit des Stücks lebte Peter Handke zusammen mit Libgart Schwarz, die er am 28. November 1967 heiratete, im Düsseldorfer Stadtteil Rath, in der Wattenscheiderstraße 2/708. Noch vor ihrer Hochzeit übersiedelten sie in die Gartenstraße 25/1 im Stadtteil Düsseldorf-Nord. Handke hatte sich mit seinem Auftritt in Princeton (im April 1966) und den erfolgreichen Uraufführungen von Publikumsbeschimpfung (im Juni 1966), Weissagung und Selbstbezichtigung (im September 1966) bereits einen Namen gemacht. Seine Stücke wurden auf etlichen Bühnen Deutschlands gespielt. Sein zweiter Roman Der Hausierer befand sich im Frühjahr/Sommer 1967 in der Fahnenkorrektur bzw. Herstellung und erschien am 28. August 1967.

Konzeption

Hilferufe ist das letzte Sprechstück Handkes. Es ist ein kurzer Text, der von beliebig vielen Schauspielern gesprochen werden kann, mindestens aber von zwei, wie es in der Regieanweisung heißt. »die aufgabe der sprecher ist es, den weg über viele sätze und wörter zu dem gesuchten wort HILFE zu zeigen. sie spielen das bedürfnis nach hilfe losgelöst von einer bestimmten, wirklichen lage, akustisch den zuhörern vor. [...] wenn sie dann aber das wort hilfe gefunden haben, haben sie keine hilfe mehr nötig.« (S1 91) Das Stück besteht aus einer Aneinanderreihung unzusammenhängender, immer kürzer werdender Sätze, die jeweils mit Nein beantwortet werden, bis der erste Sprecher das Wort Hilfe gefunden hat.

Entstehung

Ob sich Handke zum Sprechstück eigens Notizen gemacht hat, ob es Vorarbeiten oder mehrere Fassungen des Stücks gab, lässt sich nicht eruieren. Die einzigen vorhandenen Werkmaterialien sind ein fünfseitiges Typoskript und ein von Handke mit Anmerkungen versehener Stückabdruck aus Klaus Wagenbachs Lesebuch Deutsche Literatur der sechziger Jahre von 1968. Beide Materialien entstanden für die Veröffentlichung in den protokollen und somit eindeutig nach der Uraufführung und dem Erstdruck von Hilferufe. Auch die Verlagskorrespondenz gibt zur Textgenese keine weiteren Auskünfte, außer dass Hilferufe, wie man Handkes Brief an Braun vom 11. Juli 1967 entnehmen kann, parallel zu seinem ersten abendfüllenden Theaterstück Kaspar entstand, das er ebenfalls Anfang Juli 1967 fertiggeschrieben hatte. Die thematischen und formalen Zusammenhänge beider Stücke sind unverkennbar. Die Sätze der Sprecher in Hilferufe erinnern an die Ordnungssätze der Einsager, mit denen Kaspar »gefoltert« wird.

Uraufführung

Hilferufe wurde schon zwei Monate nach der Textentstehung, am 12. September 1967, im Rahmen der Deutschen Theaterwoche Stockholm in einer Produktion der Städtischen Bühnen Oberhausen uraufgeführt, zusammen mit Handkes ersten beiden Sprechstücken Weissagung und Selbstbezichtigung. Siegfried Unseld notierte seinen Eindruck von der Aufführung in einem Reisebericht: diese »fand statt nach einer 1,5-stündigen schwedischen Aufführung und war also reichlich erschlagend. "Selbstbezichtigung" und "Weissagungen" sind glänzend angekommen. Die "Hilferufe" in der Mitte wirkten bemüht und matt. Der Intendant Mettin möchte Handke als Hausautor für Oberhausen gewinnen, und der Regisseur Büch ist ganz begeistert von Handkes neuem Stück "Kaspar" und möchte dringlich die Uraufführung in Oberhausen machen. Handke ist gegen beides. Im übrigen war der Aufenthalt für Handke ein persönlicher Erfolg.« (Handke / Unseld 2012, S. 87) Im Anschluss an Stockholm wurde Hilferufe in Oberhausen gespielt.

Veröffentlichung

Am 28. Juli 1967, zwei Wochen nach dem Eingang des Typoskripts im Verlag, sandte Ursula Bothe, die Assistentin von Karlheinz Braun, Handke die Fahnen von Hilferufe mit der Bitte, sie möglichst bald korrigiert zurückzuschicken (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Handke Peter). Drei Monate später, am 20. Oktober 1967, teilte Braun Handke mit, sie hätten nun im Zuge »der Dramen-Ausgabe "Theater der Gegenwart" Mitdrucke der "Hilferufe" als Rollenmaterial für die Bühnen herstellen lassen«, er schicke ihm »mit separater Post von diesem Druck drei Belegexemplare, die aber nichts mit dem Belegexemplar der Dramenausgabe selbst zu tun haben« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Handke Peter).

Der Erstdruck von Hilferufe erschien noch 1967 (in Kleinschreibung) in dem von Karlheinz Braun für den Suhrkamp Verlag herausgegebenen Sammelband Deutsches Theater der Gegenwart 2 (Handke 1967, S. 201-209) und nicht, wie Handkes Brief vom 11. Juli 1967 glauben lässt, in der Suhrkamp Theaterreihe Spectaculum. Ein weiterer Abdruck (in Kleinschreibung) erfolgte 1968 in dem von Klaus Wagenbach herausgegebenen Lesebuch Deutsche Literatur der sechziger Jahre (S. 101-105). Die Literaturzeitschrift protokolle brachte im ersten Heft von 1970 einen Abdruck, der sich durch Großschreibung und durch einen einzelnen Satz von allen anderen Veröffentlichungen unterscheidet (Handke 1970e). Eine Aufnahme ins Spectaculum war zwar für September 1970 geplant, wurde aber am Ende doch nicht realisiert (Handke / Unseld 2012, S. 145). Im Sammelband Stücke 1 von 1972 wurde Hilferufe erneut abgedruckt, allerdings wieder in Kleinschreibung; der für die protokolle hinzugefügte Satz fehlt hier. (kp)

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