Der Griffener See

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Der Griffener See ist ein kleiner Schilfteich am Rande des Kärntner Ortes Griffen – »jenseits der asphaltierten Durchfahrtsstraße und dann noch jenseits der geschotterten "Alten Straße", verborgen in einer Senke am Fuß jenes Bergs, nach dem eine Schlacht des Mittelalters benannt ist, "die Schlacht am Wallersberg"« (GD 34). Der See ist ein wichtiges Terrain in Peter Handkes Kindheitslandschaft; er wurde bereits in seinem ersten Roman Die Hornissen von 1966 zu einem Schauplatz der Handlung. Handke beschreibt darin parallel zum Herannahen der drei Männer, die den Leichnam des vermissten Sohnes bringen, die Karrenfahrt des Vaters des Erzählers zum See, den Vorgang des Schilferntens, das mühevolle Sicheln vom Ruderboot aus und den Transport der Schilfbündel nach Hause (DHo 24-25). Im Roman wurde Handkes Großvater zum Vorbild für die Figur des Vaters. Sein Großvater war Nebenerwerbsbauer – Zimmermann und Landwirt, wobei die kleine Landwirtschaft vor allem seine Frau und Kinder besorgten; das Schilf benötigte er nicht nur als Futter für das Vieh, sondern auch als »Material bei Stukkaturen« (Haslinger 1992, S. 12; siehe dazu die Abbildungen des Großvaters beim Bestellen des Ackers in der Handke-Biografie von Malte Herwig (Herwig 2011, S. 21) und von Peter Handke als Kind auf dem Pferdekarren in Hans Höllers Handke-Monografie (Höller 2007, S. 14)).

1983, 17 Jahre nach dem Erscheinen der Hornissen, erinnerte sich Handke in einem Interview für die Kleine Zeitung vom 18. Februar 1983: »Ich denke an den Feldweg in der Sommermorgen-Dämmerung, wo ich mit dem Großvater an den sogenannten Griffener See zum Viehfutterschneiden ging.« Drei Jahre später schrieb er in seinem 1986 erschienenen Buch Gedicht an die Dauer eine kleine Hommage an den See, der durch den Bau einer Autobahntrasse zerstört werden sollte: »Den "Griffener See" kennt kein Auswärtiger, und selbst manche Kinder meines Geburtsdorfes wissen heute wohl nicht mehr, dass in ihrer Nähe ein See ist, von dem es, zwischen den Kriegen, noch Ansichtskarten gab mit Seerosen und dem Aufdruck "Griffen am Griffener See". Und doch ist die verlandende Lache, welche bald völlig verschwunden sein soll – so denken die Trassenplaner der Autobahn – ein großer Ort der Dauer für mich.« (GD 34) Noch im selben Jahr erschien in der Kleinen Zeitung ein offener Brief von Peter Handke an den damaligen Verkehrsminister Übleis. In der Überschrift heißt es: »Der berühmte Kärntner Schriftsteller Peter Handke unternahm gestern den letzten Versuch, den See seiner Kindheit zu retten. In einem offenen Brief beschwor er Bautenminister Übleis, den Griffener See vor einer Zerstörung zu bewahren. Doch seine Mahnung, diesen Ort der Stille zu erhalten, kommt vermutlich zu spät, denn die Autobahnbescheide sind bereits unter Dach und Fach.« (Kleine Zeitung, 18. März 1986) Heute zerschneidet »der hohe Trassenwall der Autobahn von Klagenfurt nach Graz "die Einheit von Ort und See" und zerstört diese idyllische Naturlandschaft« (Haslinger 1992, S. 12). Nach dem Autobahnbau erzählte Handke in dem 1993 erschienenen Gespräch mit Michael Maier, Janko Ferk und Thomas Götz von der Idylle, den Pflanzen und Tieren an seinem Kindheitssee, die ihm in der Erinnerung zur »Weltlandschaft«, zu einer »Modellwelt« (Ferk u.a. 1993, S. 14) wurde. (kp)

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